Detailed Information
Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 481
Functions
Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 481
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
28.11.1893. - 8 Seiten, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: ER in Rom, MB trifft Brahms in Wien, Hochschul- und Senatsangelegenheiten, Herzogenberg hat von ER die Leitung der Musikalischen Gesellschaft übernommen. Verkauf der Bach-Autographe Stargardt. Transkription: Mein lieber Freund, Aus Deiner Karte vom 17. D. habe ich zu meiner großen Freude entnommen, daß die Alpenluft Dir gut gethan hat. In Bonn wird es Dir hoffentlich nicht schlechter gehen; ein Römischer Winter kann unter Umständen, bei den mangelhaften Italienischen Heizvorrichtungen, recht unangenehm sein; hoffen wir, daß er diesmal gelinde wird! Hier herrscht das denkbar scheußlichste Novemberwetter; sei froh, daß Du nicht hier bist! Sehr beruhigend und besonders lieb ist mir der Gedanke, daß Deine Frau bei Dir ist. Da Du auch im Uebrigen in Deinem höchst classischen Quartier, auf dem capitolinischen Hügel, trefflich untergebracht bist, so hoffe isch alles Gute für Dich von diesem Römischen Aufenthalt. Wie gerne ginge auch ich einmal ein halbes Jahr nach rom und Griechenland, um all‘ dem öden und unfruchtbaren Berliner Treiben gänzlich entrückt zu sein und bloß im Element des Schönen und Guten zu athmen – aber daran ist nicht zu denken! – An der Hochschule ist also jetzt der junge Rob. Kahn interimistisch, d.h. bis zu Deiner Rückkehr, angestellt. Joachim scheint ihn sehr zu protegiren. Seine Arbeiten haben Hand und Fuß, aber wenig Physiognomie; er wandelt noch allzu sehr in Brahms’schen Spuren. Da ich hier gerade dessen Namen nenne, so kann ich gleich anschließen, daß wir in Wien, Anfangs October, ganz nett mit ihm verkehrt haben, - nach Jahren wieder zum ersten Mal in dieser Art, denn ich hatte mich nach seinen Breslauer Rüpeleien von 1886 fast ganz von ihm zurückgezogen. Er machte meiner Frau, die er immer gerne mochte, in seiner bärenhaften Art den Hof, aß einmal mit uns, ging mit in die Probe zu Leonidas, bezeugte sogar Antheilnahme, er war verhältnismäßig sehr menschlich! – Im Senat fahren wir fort, leeres Stroh zu dreschen. Draußen ertönt fortwährend vielstimmiges Eselgeschrei – Jeder schickt seinen Mist, u. ist sehr gekränkt, wenn ihm nicht dafür sogleich eine staatliche Anerkennung zu Theil wird. Neuerdings (das ist aber nun Amtsgeheimniß und muß daher sogar Deiner liebenden Gattin verborgen bleiben!!) haben wir uns sogar mit den unsterblichen Werken des Herrn Oscar Eichberg (Kritiker des Börsencouriers) beschäftigen müssen, der auch in seinem Gemüth den brennenden Drang verspürt, Professor zu werden. Er wird’s aber wohl nicht werden! Blumner meint, jetzt würde nach u. nach auch das andere Federvieh, E. E. Taubert, Tappert, Lessmann, etc. angerückt kommen u. zum Lohn dafür, daß sie Decennien lang das Schlechte erhoben, das Gute verdonnert, und das Volk irregeleitet haben, den Professortitel verlangen! Aber – wie kann man solche Lappalien nach dem einzigen Rom schreiben! – Herzogenbergs Trauer-Cantate ist am 11. d. M. in der Hochschule aufgef. worden und hat sich abermals sehr bewährt. Ich hätte ihm so etwas nicht zugetraut. Er hat, wie ich höre, die Leitung Deiner Musik. Gesellschaft übernommen. Es ist aber doch jammervoll, daß Du sie nicht behalten konntest! – Joachim ist fast gar nicht mehr zu haben; er stöhnt fortwährend über das Zuviel, übernimmt aber dabei unablässig aus „Liebeswürdigkeit“ ganz unnöthige Dinge, reist viel mehr, wie ihm in seinen Jahren zuträglich ist, und ist im Uebrigen, wie Du weißt, von den Dornenhecken seiner engsten Clique so fest umschlossen, daß unbefangene, unabhängige Freunde wie z.B. ich, nachgerade gar nicht mehr zu ihm dringen können. Er sagt immer: „Nun müssen wir uns aber doch einmal sehen“, und dann vergehen immer wieder Wochen und Monate, ohne daß irgendetwas von seiner Seite erfolgt. Das ist nun einmal so, und wird auch nicht mehr anders werden - aber es verstimmt mich doch zu Zeiten sehr! – Meiner Frau geht’s in letzter Zeit besser; möchte es so bleiben! Die Kinder sind jetzt Alle sehr gesund und munter. Mein kl. Hänschen, 6 ½ Jahre alt, zeichnet viel und mit entschiedenem Talent. – Was mich betrifft, so geht es mir so gut, wie es überhaupt einem nur auf Production angelegten Menschen gehen kann, der sich vergebens nach neuen, großen Aufgaben umsieht, sich innerhalb der jetzigen Generation einsam und einsamer fühlt und bei dem Ueberhandnehmen der radicalen Strömungen mehr und mehr die Lust verliert, überhaupt noch zu schaffen und zu publiciren. Denn für wen schreibt man eigentlich noch? Die Verrohung der Musiker und der Massen schreitet unaufhaltsam vorwärts – da sollte man sich ganz zurückziehen und gar nichts mehr in die Oeffentlichkeit geben – wenn man’s nur könnte! – Montag im Philh. Concert Liszt’s Faust-Sinfonie. Welche Rohheit, welch dilettantisches Unvermögen, irgend etwas zu gestalten! Und welche gemeinen Motiven! – Last but not least gratuliere ich zum Verkauf Deiner Bach-Autographen. Alles in Allem haben sie doch wohl (inclusive Cambridge) zwischen 7000-8000 M eingebracht?! – Nun leb wohl, daß einmal wieder von Dir hören und sei mit Deiner l. Frau von uns beiden herzl. gegrüßt. Dein alter M. Bruch. Viele herzl. Grüße von Tante Leo, die immer nach Dir fragt!Kahn, Robert (1865-1951) [Erwähnt], Joachim, Joseph (1831-1907) [Erwähnt], Eichberg, Oskar (1845-1898) [Erwähnt], Blumner, Sigismund (1835-1907) [Erwähnt], Taubert, Ernst Eduard (1838-1934) [Erwähnt], Tappert, Wilhelm (1830-1907) [Erwähnt], Lessmann, Otto (1843-1918) [Erwähnt], Bruch, Hans [Erwähnt], Leo, Augusta [Erwähnt]
Königliche Akademische Hochschule für Musik (1869-1902) [Behandelt]
Bemerkung: Max Bruch Am Ende des Trauerjahres für seine Frau findet Herzogenberg noch einmal zu Tönen, die seine Freunde bisher noch nicht vernommen zu haben meinen. Er komponiert in den letzten Tagen des Trauerjahres die «Totenfeier» op.80 auf Texte, die bei der Bestattung von Elisabeth gesprochen worden sein sollen, um genau am ersten Todestag, dem 7.Januar 1893 fertig zu sein. Als Max Bruch das Werk bei der Uraufführung im März 1893 in Berlin gehört hat, konstatiert er in einem Brief an Philipp Spitta: „Herzogenberg hat diesmal den Muth gehabt, sich genau so zu äußern, wie es ihm ums Herz war, und die Wirkung ist nicht ausgeblieben. Auch in den besten seiner frühern Sachen herrscht meines Erachtens - ganz unter uns gesagt - manchmal die Reflexion zu sehr vor, und die Melodik ist nicht so eindringlich und singend, daß dieselben leicht den Weg zu den Herzen Vieler hätten finden können. Möchte er noch oft die Herzenstöne finden, die neben dem tiefen Ernst und der Trefflichkeit der Arbeit das neue Werk so sehr auszeichnen.“ (Konrad Klek) https://www.herzogenberg.ch/trauerarbeit.htm
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4309996, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4309996
Erfassung: 17. Dezember 2025 ; Modifikation: 17. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-17T15:03:36+01:00
