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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 464

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 464


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

02.04.1892. - 6 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: ER Vortrag zu Heimatschutz – UA der Christkantate op. 62 in antisemitischer Matinee: nur für Eingeladene, ohne Eintritt, ohne JudenTranskription:Es lebe Bismarck!Lieber Freund, Es war mir zu meinem aufrichtigen Bedauern nicht möglich, gestern Deinen Vortrag zu hören, da sich bis zum Abend bei uns Besuche drängten. Ich habe aber heute Morgen eine lange Inhaltsangabe in der National-Ztg gelesen, und brauche Dir nicht noch zu sagen, wie sehr ich mit Deinen Ausführungen und mit der ganzen Tendenz des Vereins einverstanden bin. Ganz abgesehen von der außerordentlichen Freude, die ich Samstag an der schönen Ausführung meiner Christcantate und an ihrer Aufnahme von Seiten Derjenigen hatte, deren Meinung mir werthvoll ist, hat mich überhaupt die ganze Sache wieder auf’s höchste erfreut. Ein solches Musiciren, nur der Kunst wegen, fern von allen erbärmlichen Neben-Rücksichten, lobe ich mir! Man hat bei diesen schönen Morgen-Aufführungen vor einem nicht zahlenden, eingeladenen, auserwählten, pietätvollen, nicht von Semiten durchsetzten Publicum richtig das Gefühl, auf einer glücklichen Insel zu weilen, und nur ungern kehrt man in das geräuschvolle und erbärmliche Eitelkeits-Treiben der oberflächlichen Großstadt zurück. Hoffentlich bringst Du im Sommer, vor den großen Ferien, noch eine solche Aufführung zu Stande. Hören wir auch vielleicht einmal die Cantate: „Du Hirte Israel“? – Im Juli hoffe ich, die gestochene Part. meines Stücks bringen zu können. Sei überzeugt, daß Dein lebendiger und herzlicher Antheil daran mich beglückt und erquickt hat, und daß die Erinnerung an diese Aufführung mir und meiner Fraue besonders lieb und werth sein wird. - Ganz Berlin schimpft über Bülow, es scheint aber, daß Niemand eine Empfindung davon hat, wie schön der Grundgedanke seiner Rede war, die Eroica im Geiste dem größten Deutschen unserer Tage, Bismarck, zu weihen. Beethoven, wenn er jetzt lebte, würde sie wohl keinem Andern widmen – oder sollte er sie Herrn Eugen Richter, Bamberger, Bickert, Bebel, Liebknecht, oder den Mannen Windthorst’s dedicieren?!! Jeder Philister kramt jetzt die wohlfeile Weiheit aus, daß die Politik nicht in den Concertsaal gehöre – ganz recht, aber warum soll nicht ein Ungewöhnlicher einmal etwas Ungewöhnliches zu Ehren eines ganz Ungewöhnlichen thin? Dieser eigenthümliche Appell an das Publicum wäre in anderen Theilen Deutschlands einem einstimmigen, brausenden Jubelruf begegnet, z.B. in Köln, der Pfalz, Hamburg, Bremen etc. in Berlin erniedrigte sich eine starke Minorität durch wüthendes Zischen, sobald Bismarck’s Name genannt wurde. Im Uebrigen gestaltet sich wieder leider, wie bei B. immer, alles burlesk, und durch die tolle Gebärde des Staubabschüttelns, die ohl Niemand billigen kann, hat er noch viel mehr Anlaß erregt als seinen Bismarck-Enthusiasmus. Eines darf ich ihm nie vergessen: Im Gegensatz zu vielen Juden und Christen hat er sich in den verfl-n Breslauer Angelegenheiten, als die Hetzjagd auf mich eröffnet wurde, sehr nobel und höchst ehrenwerth gegen mich benommen. – Welch ein seltsamer Mensch! Leb wohl und hoffentlich auf recht baldiges Wiedersehen! Dein getr. M. Bruch

Bemerkung: Max BruchHans von Bülow, Bismarck: "(Beethoven) In den neun Sinfonien hat uns Beethoven seine Biografie gegeben, nicht die Geschichte seiner irdischen Privatmisere, aber die Geschichte seiner Ideale. Wir sehen, wie sich aus diesen neun Sinfonien diese neun Scenen und drei Akte eines Dramas aufbauen ... Der erste Akt gipfelt in der heroischen Sinfonie; ihr Ideal: der Held. Der zweite Akt gipfelt in der Pastoralsinfonie: die Natur. Der dritte Akt gipfelt in der neunten Sinfonie: die Menschheit ... Also mit der Menschheit ist es ein schöner Traum, oder eigentlich ein wüster Traum, der seine bösen Früchte getragen. Er hat z.B. manche Worte des Wahns hervorgerufen, darunter die drei Worte des Wahns: Liberté, egalité, fraternité – ein böser Irrtum, denn mit dieser Devise ist Nichts ausgerichtet worden ... Da könnte ich Ihnen eine andere Realität nennen, die idealisiert worden ist, so wenig süß und einschmeichelnd sie klingt, so nüchtern und prosaisch sie ist. Das ist gegenüber der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit die positive Devise: Infanterie, Kavallerie und Artillerie! ... Beethoven dedizierte sein Werk, bevor er es komponierte. Aber es kam ganz anders ... Voll heiliger Entrüstung zerriss Beethoven seine Dedikation ... Wir Musikanten mit Herz und Hirn, mit Hand und Mund, wir weihen und widmen heute die heroische Sinfonie von Beethoven dem größten Geisteshelden, der seit Beethoven das Licht der Welt erblickt hat. Wir widmen sie dem Bruder Beethovens, dem Beethoven der deutschen Politik, dem Fürsten Bismarck! Fürst Bismarck – hoch!"(28.3.1892, Rede an das Berliner Publikum nach einem Konzert mit Beethovens „Eroica“, Nach dem ausdrücklichen Bezug auf den Artikel 29 der Verfassung, die den Bürgern freie Meinungsäußerung zusichert)----------Ernst Rudorff: Der Schutz der landschaftlichen Natur und der geschichtlichen Denkmäler Deutschlands. Vortrag, gehalten zu Berlin im Allgemeinen Deutschen Verein am 30. März 1892. Berlin 1892.Deutsche Bauzeitung:https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11466531?page=412,413&q=rudorff

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4309376, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4309376

Erfassung: 15. Dezember 2025 ; Modifikation: 15. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-15T14:19:07+01:00