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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 212

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 212


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

Friedenau, 24.10.1912. - 11 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: Transkription: Friedenau, 24. Oct. 12 Lieber Freund, Habe Dank für Deine interessante Sendung. Ich stehe aber in allen diesen Dingen auf einem ganz andern Standpunkt wie Herr von Wrangell, der vertrauensselige Pastor, und die Redaction der agrarischen Deutsch. Tageszeitung, und bin auch durch diese Ausführungen nicht bekehrt worden. Wenn Du zurück bist so müssen wir einmal mündlich ausführlicher hierüber reden als es schriftlich möglich ist. Heute sage ich nur in Kürze Folgendes: Mit wohlwollenden, concilianten und – sehr kurzsichtigen Leuten, wie v. Wrangell, für welche die Lehren der Geschichte gar nicht vorhanden zu sein scheinen, ist überhaupt gar nicht zu streiten. Die „Gesell. Jeu“ ist, wie wir Alle wissen, in der Mitte des 16. Jahrhunderts von dem fanatischen Schwärmer Loyola als Kampforden gegen den Protestantismus gegründet worden – und wie er gewirkt hat, und mit welchen Mitteln, - das lehrt uns u. A. die furchtbare Geschichte der Gegenreformation in Österreich etc. und die Geschichte des 30jährigen Kriegs, den wir in erster Linie jesuitischen Beichtvätern der Habsburger und Wittelsbacher u.s.w. zu verdanken hatten. Nach seiner Wiederherstellung durch Pius VII im Jahr 1814 nahm der Orden sofort seine unterirdische Maulwurfstätigkeit wieder auf, - er beherrschte dann Pius IX völlig – sein Werk war der unqualificirbare „Syllabus“ von 1864, der sich in einem scharfen und vollständigen Gegensatz zu allen Gesetzen und Lebensbedingungen des modernen, paritätischen Staates stellte und alle unerhörten mittelalterlichen Prätentionen der Ecclesia militans erneuerte, und sein Werk war 1870 die päpstliche Infallibilität – ein verdammenswerther Unsinn, der Unheil aller Art im Gefolge hatte und Bismarck geradezu zu dem durch Friedr. Wilhelm des IV Schwäche nötig gewordenen „Kulturkampf“ aufforderte. – Da es nun eine unbestrittene Thatsache ist, daß die Jesuiten überall, wo man sie frei schalten ließ, den confessionellen Frieden untergraben und zerstört haben, so kann und darf der moderne, paritätische Saat, so lange er irgendetwas auf sich hält diesen Orden (ohne den im Uebrigen die kath. Kirche 1500 Jahre lang recht gut ausgekommen ist) nicht dulden. Denn der Orden ist derselbe, der er immer war – und weil er derselbe ist und immer bleiben wird, so haben eine Menge von Staaten ihn verboten (u. A. Württemberg, die Schweiz, Sachsen etc.), und zwar mit vollem Recht. Ihre Moral? Ha, ich denke, ihre berüchtigte „Reservatio mentalis“ und ihre „Probabilitäts-Lehre“ charakterisiren dieselbe hinlänglich! Indessen das sind jetzt Nebensachen – Interna des Katholizismus. Für uns und unsern Staat und unsere Nation liegt die Sache m.E. ganz einfach so: der Ultramontanismus ist unser schlimmster Feind neben der eben so schlimmen „rothen Internationale!“ – die Jesuiten tragen und halten u. verbreiten ihn, als eigentliche Leibgarde der gefährlichsten Macht der Welt, des Papstthums (die Bismarck stets als eine politische ansah); ruft also jetzt der Staat sie zurück, so begeht er eine selbstmörderische Thorheit, die ihn theuer zu stehen kommen wird. Wenn ich wirklich sehen muß wie das Otterngezücht sich wieder in Deutschland einnistet, und wie der Deutsche Michel wieder einmal alle Lehren der Geschichte vergessen hat, so will ich auf eine weite Insel auswandern, wo ich nichts mehr von Deutschland höre. Uebrigens wäre es allen diesen, mit sehenden Augen blinden Leuten, die jetzt noch wagen, die Jesuiten zu vertheidigen, recht gesund, die Bulle Klemens XIV von 1773 zu lesen, wodurch er den Orden aufhob. Diese Verurteilung durch ihren eigenen allerhöchsten Chef übertrifft alles, was jemals von protestantischer Seite gegen diese uncontrollirbaren Maulwürfe gesagt worden ist. Du kennst wohl die Bulle? Der Pastor ist ein guter Mann; es versteht sich aber eigentlich ganz von selbst, daß wohlmeinende und maßvoll denkende Protestanten mit maßvollen Katholiken (die nicht „ultramontan“ sind) freundsch. verkehren können u. sollen. Diese Sorte von Katholiken hat aber nichts zu sagen, alle Macht ist in den Händen des Ultramontanismus. Wenn nun unsere „gläubigen“ Konservativen des Ostens (deren Organ die Kreuzzeitung, der Reichsbote u. ähnl. Blätter sind) mit den „gläubigen“ Katholiken, d.h. mit dem Centrum eine künstliche Solidarität der Interessen herstellen und auch politisch danach handeln wollen, so wissen sie nicht, was sie thun; sie verkennen durchaus , daß zwischen den Principien des wahren Protestantismus und des wahren Katholizismus ein nie zu vermittelnder Gegensatz besteht und eine unüberbrückbare Kluft klafft. Man sollte diese Küster und Pastoren einmal auf ein Jahr nach dem Rhein, Westfalen, Bayern, Rom schicken; da würden sie dne Ultramont. kennen lernen, wie er ist, und sich nicht mehr in schwächlichen und gefährlichen Illusionen wiegen. – Ich schätze sehr den „Ev. Bund“, der schon 500.000 Mitglieder hat, u. ausgezeichnet wirkt - auch gegen Rom! – Immer Dein tr. M. Bruch. Nachmittags. Ich habe schon zuviel gesagt, und doch noch lange nicht genug. Entschuldige also, wenn ich diesen, zur unrechten Zeit und an der unrechten Stelle friedfertigen Leuten gegenüber auch noch auf Ranke verweise. Ihm wird wohl Keiner Mangel an Objectivität vorwerfen; aber selbst er sagt mit dürren Worten (Geschichte der Päpste, III S. 142): - - „Zu dem Kampf mit den Protestanten war das Institut (d.h. der. J.-Orden) ursprünglich berechnet, von Grund aus eingerichtet. – „Er war ein Kriegsinstitut, das für den Frieden nicht mehr paßte. - - Es ist von hoher Bedeutung, daß der päpstliche Stuhl einen Orden nicht zu behaupten vermag, der zur Bekämpfung der Protestanten gegründet ist.“ Etc. etc. (Er spricht von der Aufhebung 1773). - - Die Protestanten des Deutschen Reiches (2/3 der Gesamtbevölkerung) hätten gar keine Existenzberechtigung mehr, wenn sie sich das gefallen ließen; sie lassen es sich aber nicht gefallen.! Du mußt doch selbst sagen, daß diese Forderung des Centrums eine freche und provocatorische ist, ein Schlag in’s Angesicht des Protestantismus! – Viele Bischöfe und unzählige kath. Pfarrgeistliche hassen die Jesuiten und wünschen durchaus nicht ihre Rückberufung! – Deutsche Jesuiten, „deutsche Staatsbürger“ zu nennen, ist geradezu absurd; sie sind nur Soldaten Roms, - sie haben den „Cadaver-Gehorsam“ gelobt, sacrifizio dell inteletto gebracht, handeln u. handelten stets nur im Interesse der Curie und des schlimmsten internationalen Ultramontanismus, und haben sich seit der Begründung unsers Reiches stets u. überall, offen u. versteckt, als seine Feinde erwiesen. Also fort mit ihnen! - Donnerwetter – da habe ich aber ‘mal gepredigt!! -

Bemerkung: Max Bruch

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4305843, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4305843

Erfassung: 28. November 2025 ; Modifikation: 28. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-28T12:27:27+01:00