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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 509

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 509


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

16.03.1901. - 17 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: Neue Bachgesellschaft / tagebuchartig: Jammer über Berlin / Streit mit Adolf Schulze, Konsequenzen, finanzielle Situation, Wechsel an das Stern’sche Konservatorium als Möglichkeit Transkription: Sehr vertraulich. M. L. Deinen Brief mit Dank erhalten. Ueber die „Neue Bach-Gesellschaft“ denke ich wie genau wie Du. Du wirst Dich erinnern, daß ich schon im Sommer 1900, im Senat 1) ihre Existenzberechtigung und 2) die ganze Art der Begründung des Unternehmens in dem damaligen Rundschreiben lebhaft bestritten habe. Mein Gutachten, worin ich rückhaltlos die Wahrheit gesagt habe, liegt bei den Acten und wird in 50 Jahren für einen einsamen Forscher eine hübsche Lectüre bilden. – Seitdem haben mich B.&.H. (und Dr. von Hase persönlich) wiederholt gedrängt, Mitglied zu werden; ich habe mich aber bis Febr. d. J. ablehnend u. skeptische verhalten, - bis das Berliner Comité mich im Januar, (während ich in Köln war) ohne mein Wissen und eigentlich gegen meinen Willen in den engern Local Ausschuß gewählt hat. / Ich bin aber deßhalb nicht Mitglied des Leipziger Haupt-Comité’s, und will es nie sein. / Da konnte ich dann aus Rücksicht auf Joachim nicht Nein sagen, und mußte nunmehr der Gesellschaft als Mitglied beitreten. Ob ich’s aber bleibe, das ist eine andere Frage! Wenn das hiesige Bach-Fest vorbei ist, so fühle ich mich wieder ganz frei in meinen Entschließungen. Mit den Leipziger Schwätzern lange an einem Strang zu ziehen, ist nicht meine Absicht! – Uebrigens war ich einmal in einer Sitzung des Ausschusses, und fühlte mich so angewidert von der Art, wie dort Kerle wie Lessmann und Fleischer (der größte Phrasenmacher Deutschlands) das große Wort führten, daß ich seitdem nicht mehr hingegangen bin. / Joachim in seiner allzugroßen Schwäche läßt sich dort das Fell über die Ohren ziehen. / Daß man Dich nicht in erster Reihe in den Ausschuß eingeladen hat (wohin Du vor allen Andern gehörtest) ist eine von den modernen Berliner Unbegreiflichkeiten, die mir diese Stadt so verhaßt gemacht haben, daß ich ihr sofort den Rücken kehren würde, wenn ich ein freier Mann wäre und das von meinen Werken hätte, was ich schon haben müßte. Jetzt z. E. seit 1898 50 Auff. m. Gust. Adolf in Deutschland – und keinen Heller davon! Und nur in Berlin regt und rührt sich keine Hand für eine Vorführung dieses Werkes, welches von der ganzen protestantischen Welt so freudig begrüßt worden ist! Diese unangenehme und unbequeme Thatsache wird hier einfach – ignorirt! – Und – wozu auch hier Gust. Adolf? „Was ist uns Herkules?“ Das eigentliche Berlinerthum bewegt sich jetzt nur zwischen den beiden „Brettl“ (d.h. Tingel-Tangel) und Wagnerei. Die Massen sind durch u. durch verseucht u. vergiftet – Keiner in Berlin weiß, was gut u. nöse, schön und häßlich ist. So taumelt alles dahin in einem oberflächlichen und ekelhaften Genußleben (die Folge eines 30jährigen Friedens) – bis eines Tages einmal ganz unerwartet das Mene Tekel an der Wand erscheinen wird! – Doch wohin gerathe ich? Ich wollte ja noch ein Wort über Herrn Schulze 16/3 Abends 10 Uhr Ich habe heute Nachmitt. in der G. Probe das Verdi’sche Requiem unter Gernsheim ganz vortrefflich gehört, u. bin von diesen Zauberklängen des großen „Beherrschers der Seele durch melodische Denkkraft“ auf’s Neue so hingerissen u. beglückt, daß ich mich nur schwer entschließen kann. Aus diesen lichten Regionen herrlichster Musik zur bête humaine (in diesem Falle Basilio / Le mariage de Figaro / - Schulze zurückzukehren. Nein, ich fühle, heute Abend geht das überhaupt nicht mehr. Also morgen! Sonntag, 17/3 Wir müssen uns klar machen, wie sich die Sache mit Naturnothwendigkeit entwickeln wird. Ich habe, nach Ansicht Rechtskundiger, nur dem Director, also Joachim, Erklärungen bezügl. des kl. Vorfalls zu geben, - und da dies schon geschehen ist, so ist die Sache zwischen Joach. u. mir erledigt. J. hat sich dabei durchaus liebenswürdig, conciliant und künstlerische benommen, so daß mein Verhältniß zu ihm ein ganz ungetrübtes geblieben ist. Schulze hat gar keine Erklärungen von mir zu fordern, und wird sie nie erhalten; dagegen hat er sich wegen seines unerhörten schroffen und beleidigenden Vorgehens 1) beim Director zu entschuldigen, in dessen Befugnisse er selbstherrlich eingegriffen hat, und 2) bei mir, - wegen der Art seine Vorgehens gegen mich. Joachim wird wohl einen Versuch bei Sch. machen, eine entschuld. Erklär. von ihm, mir gegenüber, zu erlangen, und Schulze wird dies (nach seiner Natur) hochmüthig ablehnen. Ich bleibe dann bis auf weiteres dem Directorium fern, und auch meinen Sitz im Lehrercollegium kann und werde ich so lange nicht wieder aufnhemen, als ich nicht Genugthuung erlangt habe. (Denn Schulze hat vor dem Collegium mein Künstlerehre und meine künstlerische Stellung zu sehr verletzt.) – Verweigert also Sch. jede Genugthuung, so hat er eine unmögliche Situation herbeigeführt. Er wird dann weiter überlegen, wie er diese Situation (mein Fernbleiben etc.) zu meinen Ungunsten ausbeuten kann, und wahrscheinlich dem Ministerium einen, in seinem Sinne gefärbten Bericht erstatten. Dort stand ich bis zum Herbst 1900 sehr gut; Joachim macht zwar dort nach wie vor Dinge und hat den bestimmenden Einfluß, aber der Geh. R. Müller gab doch auch mir verschiedentlich vertrauliche Aufträge (z. E. im Mai 1900 die Berichterstattung über den Zustand des Kölner Cons., in Folge dessen dann der Staatszuschuß für Köln von 6000 auf 10.000 M. erhöht wurde). Seit ich aber im Oct. 1900 in der Humperdink’schen Angelegenheit den Anschauungen Müller’s sowohl im Senat als in einer besonderen Denkschrift / zu Gunsten Gernsheims / entschieden entgegengetreten bin, habe ich, wie ich glaube – seine Gunst einigermaßen verscherzt. Wir grüßen uns sehr höflich, aber sehr kühl; immerhin habe ich ihm zu Neujahr eine Karte geschickt, und er hat die Höflichkeit sofort erwiedert. Dagegen glaube ich auf den Unterstaatsecretär Wewer rechnen zu können, kann auch durch einen gemeinsamen Freund, den Geh. Ob. Reg. Rath Dr. Kruse (Mann von Greta Zanders aus Gladbach) stark auf ihn wirken. Befiehlt dann event. der Minister, daß ich auch ohne Genugthuung wieder in’s Direct. etc. gehen soll, so kann und werde ich nicht gehorchen, und der Conflict ist da, der zur Einreichung meines Abschiedsgesuches führen muß. Da aber meine Familie jetzt ohne diese M 3700 von der Hochschule (3400 M. als Chef der Theorie-Abtheilung, M 300 fest für die 5-6 jährlichen Militär-Prüfungen) nicht leben kann, so würde ich mich event. bei Zeiten mit G. Holländer in Verbindung setzen, der mir seit 20 Jahren sehr befreundet ist. Meinen Namen (gegenüber dem Ausland hauptsächlich) würde er wohl mit 4000 M bezahlen. Ich gehöre zwar nicht ans Stern’sche Conserv., aber – inder Noth frißt der Teufel Fliegen! – Die Gesang – und Theorie-Abtheilung der Kgl. Akad. Hochschule mag dann mit all‘ ihren Mittelmäßigkeiten so forwursteln wie bisher! – Ich brauche Dich nicht erst zu bitten, energisch für mich einzutreten; Du hast immer den Muth zu Deiner Meinung gehabt u. wirst ihn auch diesmal haben. – Die letzten Stunden mit Dir haben mich wahrhaft beglückt. Bald wieder! Allzeit Dein getr. Max Bruch. P.S. Es wäre sehr lieb von Melusine, wenn sie mir ab und zu berichten wollte, wie es ihrem Bruder in der weiten Ferne geht! M. B. Diese Blätter sind nur für Dich; gieb sie also ja nicht aus der Hand! Je eher und je mehr Du aber mit Joach. über die Sache sprichst, je lieber wird es mir sein.

Bemerkung: Max Bruch

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4310448, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4310448

Erfassung: 19. Dezember 2025 ; Modifikation: 19. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-19T16:09:20+01:00